4.3. Exkurs: Übertragung von Reichstagsreden im Rundfunk

Der Gedanke, Reichstagsdebatten im Rundfunk zu übertragen, kam schon recht früh auf und wurde besonders von den Rundfunkzeitschriften vertreten. Sie wiesen immer wieder auf die Notwendigkeit hin, den Rundfunk im Dienste des Volkes und seiner Regierung zwar nicht für die Übertragung aller, aber doch der wichtigsten Reichstagssitzungen einzusetzen: (Q127) "Wir würden es begrüßen, wenn wichtige Angelegenheiten, die im deutschen Parlament verhandelt werden (z.B. auch die Vorstellung neuer Regierungsmitglieder) den Rundfunkteilnehmern, die sie hören wollen, in Zukunft nicht mehr vorenthalten werden. Das unmittelbare Erleben wirkt unbedingt viel tiefer als das nachfolgende Lesen der Verhandlungsberichte." (Q128) Die direkten Übertragungen von Reichstagsreden wurden als "die einzige objektive Berichterstattung, die theoretisch und technisch denkbar ist", bezeichnet. (Q129)

Der Leiter der Pressestelle des Preußischen Staatsministeriums, HANS GOSLAR, stellte fest, daß hinsichtlich der Rundfunkübertragung von Reichstagssitzungen keine Bedenken erhoben werden könnten, da Reichstagsvollsitzungen öffentlich seien und der Rundfunk ebenso wie die zugelassene Presse lediglich eine erweiterte Öffentlichkeit darstelle. (Q130) Trotzdem wurden die wiederholten Anträge der BERLINER FUNK-STUNDE abgelehnt. (A36)

"Die Mehrheit des Ältestenrates wandte sich in den zwanziger Jahren gegen eine Übertragung der Reichstagsverhandlungen aus zwei Gründen. Erstens hielt man nur eine vollständige Übertragung für möglich, einzelne Themen oder Redner auszuwählen [!] hielten die damaligen Mitglieder für undurchführbar, es sei denn, daß eine besondere Welle in Anspruch genommen würde, was aussichtslos erschien. Der zweite Grund war, daß man Reden 'zum Fenster hinaus' nicht noch vermehren wollte. Diese Reden sollten ja nur ernsthaften Auseinandersetzungen verschiedener Ansichten dienen, aber nicht als willkommenes Podium für Reklamereden einzelner Parteien. So kam es, daß die Kommunisten und Nationalsozialisten die Übertragung befürworteten, die dazwischenliegenden Parteien von Sozialdemokraten über Zentrum und Demokraten bis zur Volkspartei sich dagegen erklärten." (Q131)

Bei einer der letzten Reden STRESEMANNS (Ende Juni 1929 zu einem rein außenpolitischen Thema) war eine Rundfunkübertragung geplant, vorbereitet und auch schon öffentlich angekündigt. Sie mußte nach dem Protest dreier Parteien ("besonders die Rechte hielt es nicht für statthaft, daß nur der Minister und nicht die Abgeordneten der einzelnen Parteien mit ihren Reden übertragen" werden sollte (Q132)) im letzten Augenblick abgesagt werden. Auch das Angebot der Rundfunkseite, Übertragungen von Reichstagsreden mit Ausschnitten aus Schallplattenaufzeichnungen der Gegenredner zu kombinieren, konnte sich nicht durchsetzen. (Q133)

1930 kam es schließlich zu Versuchsaufnahmen, die dem Ältestenrat vorgespielt wurden. Dieser entschied sich gegen Übertragungen, erlaubte jedoch Aufzeichnungen zu Archivzwecken, die dann ausschnittweise bei einem "Rückblick auf Schallplatte" verwendet werden durften. (Q134)

Die einzige vollständig übertragene Rede einer Reichstagssitzung, die des Reichskanzlers BRÜNING vom 25. Februar 1932, war dann auch ohne Wissen des Reichstagsplenums allein mit der Genehmigung des Reichstagspräsidenten LÖBE und mit Hilfe der genehmigten Schallplattenaufzeichnungen für Archivzwecke über die DEUTSCHE WELLE verbreitet worden. (Q135)

Pohle resümiert: "Der demokratische Rundfunk mußte somit an der wichtigsten demokratischen Einrichtung des Staates vorübergehen, ohne sich in ihren Dienst stellen zu können. Eine große Chance der Verbindung von Volksvertretern und Volk, der staatsbürgerlichen Aufklärung und der aktuellen politischen Berichterstattung war ausgelassen worden." (Q136)

Siehe auch "Rundfunkansprache des Reichstagspräsidenten Löbe über die Übertragung von Reichstagsdebatten durch den Rundfunk".

4.4. Exkurs: Hörergemeinschaften (Q137)

Der Grund für die Bildung von Hörergemeinschaften ist in eine technisch-wirtschaftliche Komponente und eine inhaltliche Komponente geteilt.
Technische Probleme beim Betrieb und der Wartung von Empfangsgeräten schreckten viele Menschen (insbesondere auf dem Land) davon ab, sich ein Rundfunkgerät zuzulegen. Zunächst gab es nur Batterieempfänger, die Batterien konnten auf dem Land jedoch zumeist nicht ohne weiteres aufgeladen werden, und bei Problemen stand kein Kundendienst zur Verfügung. Außerdem konnte sich - insbesondere in der Inflationszeit - nicht jeder ein Empfangsgerät leisten. Dieser Faktor wurde dadurch noch verstärkt, daß ein guter Empfang im ländlichen Raum oft nur mit verbesserten und damit teureren Geräten möglich war. Allerdings handelte es sich bei den Hörergemeinschaften nicht nur um Menschen, die gemeinsam einen Rundfunksender abhörten, wie dies später während des "Dritten Reiches" beim angeordneten Gemeinschaftsempfang der Fall war. Hörergemeinschaften dienten dem kritischen Umgang mit dem neuen Medium und nicht der Indoktrination. Die Sendungen wurden gemeinsam vor- und nachbereitet. Oft schloß sich der Sendung eine Diskussion über das Gehörte unter der Leitung eines "Experten" an. In ländlichen Gebieten war dies zumeist der Pfarrer oder der Lehrer - als einzige Bewohner mit akademischer Ausbildung.
Auch waren in der Weltwirtschaftskrise viele Menschen gezwungen, auf andere Informationsmedien zu verzichten, sie erhofften sich durch den Gemeinschaftsempfang wohl zumeist eine "Abdämpfung" dieses Verlustes. Zudem gab die Hörergemeinschaft denjenigen Sicherheit, die sich von dem neuen Medium überfordert fühlten.
Die Hörergemeinschaften entstanden vor allem ab 1928, hatten ihre Blüte 1930 / 31 und verschwanden ab 1932 / 33 wieder.
Hörergemeinschaften wurden von verschiedenen Seiten initiiert und geprägt. Einerseits staatlich, wenn Lehrer und ihre Vorgesetzten zur Bildung von Hörergemeinschaften aufriefen, wobei die für den Schulfunk angeschafften Empfangsgeräte in den Schulen genutzt wurden.
Zum anderen stellten auch kirchliche Organisationen, Gewerkschaften und politisch "linke" Parteien Empfangsgeräte zur Verfügung. So wurde z.B. der "ARBEITER-RADIO-BUND" gegründet.
Schließlich gab es noch rein private Hörergemeinschaften, die wegen der fehlenden Organisation jedoch meist nicht so stabil waren.
Während der Blütezeit der Hörergemeinschaften Anfang der 30er Jahre kam es zu einer starken Ausweitung, die u.a. vom Arbeitsamt, Wohlfahrtsinstitutionen, Gewerkschaften und konfessionellen Organisationen unterstützt wurde und Büchereiverwalter, "Volksbildner" etc. einschloß. Durch Rückkopplung mit den Sendergesellschaften kam es z.B. auch zu einem Programm für Erwerbslose am Vormittag. Der Niedergang der Hörergemeinschaften, der schon 1932 einsetzte, ist noch nicht genauer untersucht. Er wurde wohl auch in der zeitgenössischen Presse immer nur festgestellt, jedoch nicht analysiert.

4.5. Exkurs: Schallplatte

Auf der Pressekonferenz anläßlich der Eröffnung des "WIRTSCHAFTSRUNDSPRUCH" am 2. September 1922 wurde das "TELEGRAPHON" als Aufzeichnungsmöglichkeit vorgestellt. Dieses Gerät war bereits auf der Pariser Weltausstellung von 1900 durch VALDEMAR POULSEN der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Es ist als Vorläufer des Tonbandes anzusehen, da es sich um eine elektromagnetische Schallaufzeichnung handelte. Tonträger war ein auf einer Messingwalze aufgewickelter Stahldraht. (Q138)

Für den Rundfunk wurden jedoch vor allem Schallplatten zur Aufzeichnung benutzt. Da die Langspielplatte erst 1947 erfunden wurde, hatten die Wachsplatten vorerst nur eine Spielzeit von ca. 4 Minuten. (Q139)

Als am 3. Dezember 1930 die Einbringung des Etats durch Reichsfinanzminister DIETRICH im Reichstag versuchsweise auf Schallplatte aufgenommen werden durfte, füllte die 85 min. dauernde Sitzung dann auch 22 Schallplatten. (Q140)

Das "MAGNETOPHON" (AEG) und das dazugehörige Tonband (BASF Ludwigshafen) stellten das erste ernstzunehmende elektromagnetische Aufzeichnungsverfahren dar. Dieses komplette Tonaufnahmesystem wurde 1935 auf der Funkausstellung in Berlin vorgestellt. Eine der üblichen 1000m-Spulen hatte eine Spielzeit von ca. 17 Minuten und war der Schallplatte also weit überlegen. (Q141) Ab Ende 1936 wurden Sendungen versuchsweise auf Tonband aufgezeichnet, durchgesetzt hat sich das Verfahren jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg. (Q142)(A37)

Da Rundfunkbeiträge in den 20er Jahren meist nicht aufgezeichnet wurden, kommt privaten Sammlern wie Herrn DOEGEN aus Berlin mit seiner Sammlung großer Stimmen seiner Zeit eine besondere Bedeutung zu. Von ihm wurden berühmte Persönlichkeiten in sein Schallplattenstudio in Berlin eingeladen, wo sie dann wichtige, von ihnen selbst schon einmal gehaltene Reden noch einmal auf Schallplatte sprachen. (A38)




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