ie die anderen in
dieser Arbeit behandelten Medien auch, verlangt die Fotografie vom Historiker
die Entwicklung einer aufwendigen Quellenkritik. Wie bei jeder anderen Quellenart
muß die Aufnahme in den historischen Kontext gestellt werden. Schwierigkeiten
bei der Beurteilung einer Aufnahme können dadurch entstehen, daß eine
Fotografie, bis sie dem Historiker zur Beurteilung vorliegt, wesentlich mehr nicht
mehr nachvollziehbare "Filter" durchlaufen hat, als dies bei Akten oder
Verträgen der Fall ist. Je nach Aufnahmedatum und -gegenstand müssen
kleinere oder größere Verluste bei der Überlieferung des ursprünglich
existierenden Materials bedacht werden. Das überlieferte Fotomaterial ist
zumeist stärker verstreut und dadurch in seiner Gesamtheit schlechter zu
erschließen. Dies gilt v.a. für größere politische Ereignisse,
bei denen viele Fotografen anwesend waren. Dafür ist es natürlich einfacher,
überhaupt Bildmaterial von einem solchen Ereignis zu bekommen.
Wesentlich sind allerdings v.a. die "Filter", die schon gewirkt haben, bevor der erste Abzug eines Bildes vorliegt: Die Kamera ist technisch nicht in der Lage, ein wirkliches Abbild der Situation festzuhalten, da sie immer nur einen gewissen Ausschnitt auf das Filmmaterial bannen kann. So ist es beispielsweise nicht möglich, zu erfahren, was sich im Augenblick der Aufnahme hinter der Kamera / hinter dem Fotografen abgespielt hat. Dies kann für den Eindruck, den das Bild vermittelt, jedoch von großer Bedeutung sein. Der Fotograf muß einen Ausschnitt und einen Zeitpunkt für die Aufnahme wählen. Da sich die abgebildete Situation ständig verändert, kann die Aussage des Bildes auch hiervon stark abhängen. Die vom Fotografen gewählte Perspektive und die gewählte Optik beeinflussen das Bild, bzw. dessen Wirkung auf den Betrachter. Ein Portrait aus der Froschperspektive unterscheidet sich z.B. von dem "gleichen" Portrait aus der Vogelperspektive. Bei einem Bild muß der Betrachter zur abgebildeten Person aufschauen, beim anderen kann er auf sie hinabschauen. Objektive mit kurzer Brennweite (Fischauge, Weitwinkel) lassen abgebildete Gegenstände/ Personen sich voneinander entfernen, wogegen Objektive mit langen Brennweiten (Teleobjektive) Dinge "zusammenbringen". Diese Verzerrung kann man schon bei Portraits feststellen. Kurze Brennweiten ergeben hier lange, dicke Nasen, wogegen lange Brennweiten gegenteilig wirken. Aber auch nachdem die Aufnahme gemacht wurde, ist das Ergebnis noch nicht endgültig festgelegt. Filmmaterial und Fotopapier stellen die nächsten "Filter" dar. Beide Materialien gibt es in unterschiedlichen Ausführungen. Merkmale für die Wirkung des Bildes sind dabei die Härte des Materials (Kontrast) und die Farbwiedergabe. Beim Abzug auf das Fotopapier kann ein durch die Wahl des Filmmaterials entstandener Effekt zwar relativiert werden, er kann allerdings auch verstärkt werden.
Schließlich bleibt noch die Bildunterschrift zu erwähnen. Wie bei der Betitelung von Wochenschauen schon angesprochen (Vgl. Die politischen Inhalte der Wochenschauen), kann durch den Text dem Bild eine bestimmte Bedeutung mitgegeben werden, die das Bild als solches gar nicht transportiert. Da Pressefotos oftmals nur die Folgen von Handlungen dokumentieren, nicht aber die Handlungen selbst, ist der Bildbetrachter auf den erklärenden Text angewiesen, um beispielsweise die Verursacher von Zerstörungen "innerlich verdammen zu können".
Soweit die "Filter", die eine Fotografie auf jeden Fall durchlaufen muß. Dazu kommen jedoch noch die Filter, die eine Fotografie durchlaufen haben kann, ohne daß dies für den Betrachter erkenntlich sein muß. Ein Bild oder Teile eines Bildes können gestellt sein. Im Labor können mit unterschiedlichen Filtern und Chemikalien verschiedene Effekte hergestellt oder entfernt werden. Außerdem können verschieden Bilder ineinanderkopiert werden, was mit Hilfe der Retusche vervollkommnet werden kann - mit ihr können auch ganze Bildausschnitte entfernt werden.
Mit der computertechnischen Digitalisierung von Bildern (auch alten!) werden viele Verfahren der Bildveränderung "vereinfacht". Sobald es kein nicht-digitales Original mehr gibt, kann es unmöglich sein, eine Fälschung ohne Zeugenaussagen oder Vergleichsaufnahmen anderer Fotografen nachzuweisen. (A39)
Trotz all dieser "Filter" und der damit verbundenen Gefahren stellt die Fotografie m.E. eine interessante zusätzliche Quelle für die historische Forschung dar. Wie schon angesprochen, wäre allerdings die Entwicklung einer speziellen Quellenkritik durch Historiker auf Grundlagen der Quellenkritik der Medienwissenschaftler erforderlich.
Neben der Tatsache, daß ein Bild manche komplexen Vorgänge besser oder zumindest einfacher darstellen kann, als dies durch die Schrift möglich ist, steht der interessante Punkt, daß Fotografen andere Interessen hatten/ haben als Beamte oder Politiker. Dadurch entsteht nicht nur eine andere Herangehensweise an ein Thema sondern z.T. auch eine andere Themenauswahl. Heute ist dies nicht nur für die "Alltagsgeschichte" interessant, sondern auch, um die Geschichte der "hohen Politik" in ihren geschichtlichen Bezug zu stellen, Gründe und Folgen von weitreichenden Entscheidungen aufzuzeigen etc..
ür den Film
und die Film-Wochenschau gelten zumeist die oben unter Fotografie angeführten
Punkte für die Quellenkritik. Diese finden ihre Einschränkungen durch
die Aspekte, die den Film von der Fotografie unterscheiden - im wesentlichen dadurch,
daß der Film nicht aus Einzelaufnahmen besteht und dadurch z.B. "entstellte"
Momentaufnahmen wegfallen. Die Perspektiven-, Objektiv-, Materialwahl etc. hat
jedoch für den Film die gleiche Gültigkeit wie für die Fotografie.
Hinzu kommen noch speziell filmtechnische Aspekte wie der Filmschnitt, die Tongestaltung,
deren Endmischung etc.. Auch sollte nicht außer acht gelassen werden, daß
der Film nicht nur mit der Fotografie verwandt ist sondern auch mit dem Theater.
Er hat einen dramaturgischen Aufbau, der der Fotografie zumeist verwehrt bleibt,
weil nicht "endlose" Serien von Fotografien produziert und/ oder publiziert
werden. Daß die Wochenschauen sich zwar vom fiktionalen Film unterscheiden,
ist unbestritten, trotzdem unterliegen auch sie diesen Regeln. Zu glauben, Wochenschau
oder Dokumentarfilm würden die Realität festhalten, ohne zu inszenieren,
wäre falsch und verhängnisvoll. Zumeist genügt allein die Anwesenheit
der Filmkamera, um eine Inszenierung fernab der Wirklichkeit auszulösen -
und ein Filmteam samt Equipment ist wesentlich schlechter zu verstecken als ein
Fotoapparat.
Nicht ganz vergessen werden sollte die Instrumentalisierung der Medien, wodurch die Medien nicht nur als Quellen, sondern auch als Untersuchungsgegenstand für Historiker (und nicht nur für Medienhistoriker) interessant sind. [Als für mich prägnanteste Beispiele möchte ich hier "Umerziehungsfilme" für Deutsche nach 1945 wie "Deutschland erwache" oder "Die Todesmühlen", beide 1945 von der US-Armee produziert, anführen. Oder auch der Film vom Prozeß gegen die Verschwörer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof, der m.E. wesentlich stärker deutlich macht, wie der Prozeß ablief, als dies ein Protokoll zu leisten vermag, R.H.]
er Rundfunk ist
das Medium, bei dem - insbesondere in seiner Anfangszeit - besonders viel inszeniert
wurde. Übertragungen bzw. zeitversetzte Ausstrahlungen waren oft - sei es
aus politischen oder technischen Gründen - nicht möglich. Deshalb wurde
viel im Studio produziert, was ich als Inszenierung bezeichnen möchte. Denn
eine reine Rundfunkrede aus einem Hörfunkstudio ohne direktes Publikum unterliegt
- selbst bei gleichem Text - anderen Regeln als beispielsweise eine Rede im Reichstag.
Das direkte Feedback des Publikums fehlt ebenso wie die in größeren
Sälen und insbesondere auf freien Plätzen mehr oder weniger üblichen
Schwierigkeiten mit der Akustik. Bei Rundfunkreden bedarf es anderer rhetorischer
Fähigkeiten des Redners als bei direkten Reden. Der Rundfunkhörer hat
es nämlich auf der einen Seite wesentlich leichter (endgültig) abzuschalten
als der Hörer im Saal oder auf dem Platz. Andererseits hat er es schwerer,
einer Rede zu folgen, da die unterstützende Gestik und zum Teil auch Mimik
des Redners für ihn fehlen. Betonungsfehler und Versprecher führen beim
Rundfunkhörer zu wesentlich größeren Irritationen als beim direkten
Zuhörer/ -schauer. Mein Eindruck beim Anhören alter Aufnahmen ist, daß
die Politiker der Weimarer Republik in sehr unterschiedlichem Maß damit
zurechtkamen. Eine spannende Frage wäre m. E., wie die Rundfunkhörer
mit dem nicht gerade perfekten "Rundfunk-Redestil" der meisten Politiker
zurechtkamen.Nachrichtensendungen wurden leider nicht als "überlieferungswürdig" angesehen und deshalb auch nicht aufgezeichnet. (A40)
Schließlich noch eine Bemerkung zu einer "Rundfunk-Quelle",
die in dieser Arbeit nicht angesprochen wurde, weil sie nicht aus der Zeit der
Weimarer Republik stammt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden immer wieder noch
lebende Zeitzeugen interviewt. So sind bspw. Aussagen von Politikern der Weimarer
Republik zu Vorgängen der 20er und 30er Jahre überliefert, die m.E.
mit der retrospektiven Ereignisbetrachtung von Memoiren zu vergleichen sind.
An dem Beispiel der Konferenz von Locarno läßt sich recht gut verdeutlichen,
wie die "modernen Medien" sich (auch retrospektiv) gegenseitig ergänzen
können, um dann die "herkömmlichen Quellen" zu ergänzen.
Zu Locarno entstanden meines Wissens nach je ein Fernsehspiel und ein Spielfilm.
Das Fernsehspiel ist eine "szenische Reportage" (ZDF, 5. August 1978),
die versucht, die Ereignisse von Locarno darzustellen, wie diese vermutlich
dargestellt worden wären, hätte es damals schon Fernsehen und Fernsehreportagen
gegeben. Mit diesem Ansatz muß das Fernsehspiel stark fiktionale Züge
tragen und ist deshalb für den Historiker als Quelle wohl eher ungeeignet.
Bei dem Spielfilm "Stresemann" (Deutschland, 1957) würde ich
das schon anders sehen, da man sich hier bemühte, "authentisch"
zu sein, auch wenn Locarno nur ein Teilthema ist. Besonders deutlich wird hier
die Ergänzung der Medien, denn der RIAS produzierte anläßlich
der Uraufführung des Films ein Interview mit dem Sohn Gustav Stresemanns
"über Echtheit der Charakter-Darstellung und des Zeitkolorits"
(A41) und, um das Ganze noch abzurunden,
wurde der Film unter medienwissenschaftlichen (v.a. technischen) Gesichtspunkten
durch das "Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik" besprochen.
(Q143)
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