4.2. Die Rundfunkentwicklung in der Weimarer Republik

4.2.1. Rechtliche Aspekte
Gesetzliche Regelungen speziell für den Rundfunk hat es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland nicht gegeben. Gesetzliche Regelungen bestanden nur für den fernmelderechtlichen Teil des Rundfunkwesens. (Q99) Wesentliche rechtliche Grundlage war das "Gesetz über das Telegrafenwesen" vom 6. April 1892. Wichtigster Punkt: Das Reich hat die ausschließliche Funkhoheit. (Q100)

In der Weimarer Republik wurde an diese rechtliche Situation angeknüpft. Art. 6 Nr. 7 der Weimarer Reichsverfassung bestätigte diese Reichskompetenz. (Q101) Die "Verordnung zum Schutze des Funkverkehrs" vom 8. März 1924 enthält die Legaldefinition der "Funkanlagen" und das Verbot der Errichtung und des Betriebes von Funkanlagen ohne die Genehmigung der Reichstelegraphenverwaltung. Zugleich wird der bis dahin verbotene Rundfunkempfang für alle freigegeben. (Q102)(A32)

Diese nur sehr unzureichenden gesetzlichen Grundlagen ermöglichten die Gestaltung des Rundfunks mittels fiskalischer und administrativer Maßnahmen vor allem durch die Reichspost ohne eine parlamentarische Kontrolle. (Q103)

Die Überlegungen der Gründer des deutschen Rundfunks orientierten sich zunächst an vorpublizistischen, mehr der Unterhaltung als der Übermittlung von Nachrichten verpflichteten Zielsetzungen. Mit der Erkenntnis der publizistischen, d.h. auch der politischen Bedeutung des neuen Mediums entschieden sich die "Rundfunkväter" in der Tradition des preußischen Beamtentums für eine obrigkeitsstaatliche Lösung. Technik, Wirtschaft und Programmüberwachung wurden auf administrativem Weg in die Hände der Hoheitsträger gelegt. (Q104)(A33)

Das Reich wurde in neun Rundfunkbezirke eingeteilt, in denen jeweils eine selbständige Gesellschaft für den Programmbetrieb gegründet wurde. Daneben wurde die "DEUTSCHE WELLE" gegründet, die zur Übertragung von Programmen für ganz Deutschland vorgesehen war. (Q105)

Die "REICHSRUNDFUNKGESELLSCHAFT" (RRG) entstand als Gründung der regionalen Rundfunkgesellschaften. Die Deutsche Reichs Post erhielt 51% des Stimmkapitals und hatte damit von vornherein den entscheidenden Einfluß auf die Gesellschaft. (Q106)

Verbunden mit dem Funkhoheitsrecht hatten damit die Spitzenbeamten der Post die Schlüsselstellung für die gesamte Rundfunkentwicklung in Deutschland in der Hand. (Q107)

Den Programmgesellschaften wurde unter Auflagen und Vorschriften über die innere Organisation und Programmgestaltung die Genehmigung zur Benutzung von Funkanlagen der DRP für den Zweck des "Unterhaltungsrundfunks" erteilt. (Q108)

Der Nachrichten- und Vortragsdienst war gemäß Art. 2, Abs. 2 der Verleihungsurkunden nach bestimmten "Richtlinien" auszuführen, die gemeinsam vom Reichsministerium des Innern und den Landesregierungen ausgearbeitet wurden. Die politischen Nachrichten durften nur von einer vom Reich bestimmten Quelle, der DRADAG (DRAHTLOSER DIENST AG - 51% des Kapitals beim Reich) bezogen werden. "Auflagenachrichten", die von der DRADAG oder im Auftrag der Landesregierungen zugeteilt wurden, mußten unverkürzt, unverändert und unentgeltlich gesendet werden. (Q109)

Das politische Programm wurde von Überwachungsausschüssen kontrolliert. Diese bestanden aus drei Mitgliedern, wovon eines vom Reich, die beiden anderen von der jeweils zuständigen Landesregierung bestimmt wurden. Neben der Programmkontrolle (die Rundfunkgesellschaft hatte sich in allen politischen Fragen mit dem Überwachungsausschuß in Verbindung zu setzen und seine Entscheidung abzuwarten) hatte die staatliche Exekutive u.a. die Berufung des Programmdirektors zu genehmigen und konnte auch dessen Abberufung verfügen, wenn die Gesellschaft gegen die Richtlinien für den Rundfunk verstieß oder die Anweisungen des Überwachungsausschusses nicht befolgte. Außerdem mußten die Ausschußmitglieder im Aufsichtsrat der Sendegesellschaft vertreten sein, um Einblick in alle Angelegenheiten zu erhalten und auch außerhalb ihrer Überwachungstätigkeit maßgeblichen Einfluß im Interesse von Reich und Ländern ausüben zu können. Den Einfluß des Staates rundeten die "Kulturbeiräte" ab, die von den Landesregierungen berufen wurden (Q110) und die Rundfunkgesellschaften "hinsichtlich ihrer Darbietungen aus Kunst, Wissenschaft und Volksbildung zu beraten und zu überwachen" hatten. (Q111)

"Um unfruchtbaren Diskussionen zu entgehen und um sich keiner Ablehnung durch den Überwachungsausschuß auszusetzen, zogen die Intendanten der Rundfunkanstalten es im allgemeinen vor, aktuelle politische Themen zu vermeiden. Der Rundfunk kam deshalb als Instrument politischer Aufklärung und Bildung in der Weimarer Republik nicht richtig zur Geltung." (Q112)

Die Rundfunkreform von 1932, zehn Tage nach der Amtsübernahme der Regierung von PAPEN verkündet, aber schon vorher vorbereitet, stellte den totalen Einfluß der Regierung auf den Rundfunk endgültig sicher. Die Überwachungsausschüsse wurden Staatskommissaren untergeordnet, die allein den Regierungen verantwortlich waren. Neben dem Verwaltungsrat entstand ein vom Reichsministerium des Inneren beschickter Programmbeirat der RRG, der die verfassungsmäßig zuständigen Länder weiter in den Hintergrund drängte. (Q113)

Wenn man den Rundfunk der Weimarer Republik nun einem der drei Haupttypen der Rundfunksysteme zuordnen möchte (Privatbetrieb / öffentlich-rechtlicher / Monopoleinrichtung des Staates), so wird er zumeist als der repräsentative Vertreter des Types 3 a) meiner Ansicht nach ab 1932: 3 b), bezeichnet.

Definitionen: (Q114)
1. Der Rundfunk als Privatbetrieb (Einzelperson oder Gesellschaft) auf Grund staatlicher Lizensierung im Rahmen staatlicher Richtlinien, die sich im allgemeinen nur auf die Beachtung der elementaren Gesetze einer menschlichen Gemeinschaft und auf internationale Regelungen beziehen.
2. Der Rundfunk als Anstalt des öffentlichen Rechts mit allen daraus erwachsenden Pflichten gegenüber Staatsführung und Volk und dementsprechender Selbständigkeit und Unabhängigkeit auf technischem, wirtschaftlichem und geistigem (programmgestaltendem) Gebiete.
3. Der Rundfunk als Monopoleinrichtung des Staates, wobei a) der technische Betrieb der Sender einer Staatsbehörde untersteht, Wirtschaft und Programmgestaltung jedoch nur staatlich kontrolliert und mehr oder weniger staatlich beeinflußt werden, oder b) der gesamte Rundfunkbetrieb Angelegenheit des Staates ist und durch diesem direkt unterstehende Organe gehandhabt wird.

4.2.2. Politische Inhalte
Dieser Rundfunk ist ein Instrument im Dienste der jeweiligen herrschenden Regierungsmacht, d.h. der Rundfunk als Staatsorgan vertritt vorzugsweise nicht nur die - berechtigten - staatlichen Interessen, sondern gleicherweise auch die Regierungspolitik, die einen parteipolitischen Charakter trägt." (Q115)

Daß ein solcher Rundfunk als Institution nur minimale Widerstandskraft gegen die Übernahme des demokratischen Staates durch eine Diktatur aufbringen kann, ist - bedingt durch seine enge Verknüpfung mit dem Staat, dessen Institutionen und der Regierung, nicht aber mit der Verfassung - recht klar. (Q116)

Das politische Programm während der drei rechtlichen Phasen des Rundfunks läßt sich bis 1932 wie folgt skizzieren:

Von Beginn bis 1926: Der Rundfunk befindet sich in einem Versuchsstadium. Die Sender, zumeist ohne Betriebsgenehmigung und im Besitz der Deutschen Stunde, waren von sich aus meist äußerst vorsichtig mit ihrem politischen Programm, es war allerdings auch noch Raum für Experimente. Der Gedanke des "Unterhaltungsrundfunks" war vorherrschend. Die Auseinandersetzungen zwischen Reichspostministerium und Reichsinnenministerium legten zudem ein äußerst vorsichtiges Vorgehen nahe. (Q117)

Von 1926 bis 1928: Während der allgemein strengen Auslegung der "Richtlinien" kam es im wesentlichen zu keinen politischen Reden im Rundfunk. (Q118)

Von 1929 bis 1932: Mit CARL SEVERING als Reichsinnenminister wurden die Regeln lockerer ausgelegt, es bestanden allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Reichsteilen - in Süddeutschland hielt man z.B. noch immer nicht allzuviel von einem politischen Rundfunk. (Q119)
Ab November 1927 durfte sich die DEUTSCHE WELLE an "kontradiktorische Vorträge" wagen, zunächst auf den Gebieten Wissenschaft, Kunst und Technik, ab Juni/ Juli 1928 auch Politik. Zwei Redner mit gegensätzlichen Ansichten sprachen dabei zum gleichen Thema. (Q120)
Nach den Parteien der Mitte durften schließlich auch die Nationalsozialisten "auf den Äther", lediglich die Kommunisten blieben weiter außen vor. (Q121)(A34)

Das Bemühen, den Rundfunk überparteilich zu gestalten, führte - insbesondere in den Jahren bis 1928 - oftmals dazu, daß Politik insgesamt so weit als möglich aus dem Programm herausgehalten wurde. (Q122) Allerdings wurde die Überparteilichkeit des Rundfunks auch schon früh immer wieder durchbrochen, neben Regierungsvertretern (v.a. der Reichsregierung) hatte jedoch nur das nationale / nationalistische Lager dazu Gelegenheit, (Q123) was insbesondere die Kommunisten immer wieder beklagten. Die zumeist mit recht harmlos klingenden Titeln versehenen Vorträge mußten dabei im wesentlichen den Ansichten der Landesregierung entsprechen. Einige Beispiele aus dem Programm der SÜDDEUTSCHEN RUNDFUNK AG Stuttgart, bei der die "Richtlinien" im Allgemeinen streng ausgelegt wurden, sollen dies verdeutlichen: (A35) Besonders sticht der Generalsekretär HUMMEL des Landwirtschaftlichen Hauptverbandes - der auch als ausgesprochen bauernbündlerisch (deutschnational) bezeichnet wird - hervor. Seine recht polemisch abgefaßten Vorträge bereiteten dem Überwachungsausschuß zwar etliche Probleme, wurden aber - wenn auch z.T. mit Streichungen - genehmigt. War dies nicht gleich der Fall, so geschah es nach Intervention der württembergischen Landesregierung, die auch Streichungen des Überwachungsausschusses rückgängig machte. Hintergrund war ein befürchteter "Sturm der Entrüstung bei unseren Bauern", wenn man die Vorträge untersagen würde. Im übrigen seien sich ohnehin alle Parteien bei der Beurteilung der Sachlage - nämlich der Not der Landwirtschaft und der Notwendigkeit, sie rasch zu beheben - einig ("mit Ausnahme vielleicht der Sozialdemokraten und Kommunisten" (Q124) [sic]). So wurden Vorträge im Februar 1928 über "die Krisis der Landwirtschaft", im August 1928 "über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Milch und die daraus sich ergebenden Pflichten für Staat, Erzeuger und Verbraucher", ein Vortrag vom März 1930, dessen Titel mir nicht bekannt ist und eine Rede vom Februar 1931 über "die Stärkung unseres Binnenmarktes, eine Schicksalsfrage für das deutsche Volk" genehmigt.
Auch machte man - 1932 anläßlich der Reichspräsidentenwahl - politische Zugeständnisse an die Reichsregierung, als diese bei BRÜNING-Reden auf den ungeliebten Zusatz "Reichsauflage" verzichten wollte. Man ließ sich davon überzeugen, daß es sich um eine amtliche Kundgebung des verantwortlichen Staatsmannes und nicht um eine Wahlrede handele und verzichtete auf den Zusatz "Reichsauflage" zugunsten einer Klarstellung der Verantwortung durch eine entsprechende Ansage. (Q125)

Man kann natürlich auch in den Übertragungen der "Befreiungsfeiern" für das Ruhrgebiet politische Darbietungen sehen, denn die Töne hier waren oftmals nicht nur national, sondern auch nationalistisch und wurden deshalb von der "Linken" angegriffen. Die heimlich vorbereitete Übertragung der Kölner Befreiungsfeier im Februar 1926 hatte wohl eine unglaubliche propagandistische Wirkung (v.a. in Deutschland, aber auch im übrigen Europa). ADENAUER, damals Oberbürgermeister von Köln schrieb danach an BREDOW: "Die große, noch gar nicht abzuschätzende Bedeutung des Rundfunks ist - wie mir scheint - gerade bei dieser Feier ganz klar zu Tage getreten." (Q126)



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