Die Reichspost führte zunächst vor allem Versuche mit der schon weiter entwickelten Funktelegraphie durch. Ziel war zu dieser Zeit noch nicht der Aufbau eines allgemeinen Rundfunks und schon gar nicht eines Unterhaltungsrundfunks, sondern vielmehr ging es - nachdem man festgestellt hatte, daß die Funktechnik für individuelle Nachrichten ungeeignet war - darum, so etwas wie ein Funkpressebüro einzurichten. Die Zeitungsverleger und Journalisten standen dieser Idee reichlich skeptisch gegenüber, da man fürchtete, in der damaligen Meinungspresse sein Profil zu verlieren, wenn man gleichzeitig mit den Kollegen anderer couleur die gleichen Nachrichten erhalten würde. (Q75)
Am 6.11.1919 hielt HANS BREDOW (inzwischen im Postdienst) im Urania-Haus in Berlin vor Vertretern von Behörden, Presse, Wissenschaft und Industrie einen Vortrag über die "Anwendung der Funktechnik". (Q76)(A30)
Die Vorführungen des Funkverkehrs mit einem Auslandssender und einem auf See befindlichen Schiff gelangen. Am Schluß des Vortrages sollte eine Rundfunkübertragung vorgeführt werden: Musikteil - Vortrag - Musikteil. Starke Störungen beeinträchtigten die Übertragung jedoch so sehr, daß BREDOW später diesen Tag als den schwärzesten seines Rundfunk-Lebens bezeichnete. (Q77)
Kurze Zeit später kam es jedoch zu Übertragungen aus Königs Wusterhausen, die "in voller Klarheit in ganz Europa hörbar waren". (Q78)
"Anfang 1922 war die technische Entwicklung so weit fortgeschritten, daß ein öffentlicher Rundfunkdienst gewagt werden konnte. Die zuerst der Presse gemachten Vorschläge kamen jedoch teils wegen des großen Risikos, teils wegen Mangel an Vertrauen zu der neuen Technik nicht zur Durchführung." (Q79)
"Die Presse konnte sich nicht über ein gemeinsames Vorgehen verständigen, wenn auch einige Zeitungen für sich allein gern das Unternehmen durchgeführt haben würden. Wenn diese Verhandlungen damals zum Ziel geführt hätten, würde der Rundfunk heute wahrscheinlich ein Unternehmen der deutschen Presse sein." (Q80)
Neben den Nachrichtenagenturen und Presseverlagen zeigte schon 1920 eine ganz andere Stelle Interesse am Rundfunk: Das Auswärtige Amt. Nach dem Krieg versuchte das AA der Wirtschaft mit der neuen Außenhandelsstelle zu helfen, schnell wieder internationale Kontakte herzustellen. Der Auslandsapparat des AA wurde in den Dienst der Wirtschaftspublizistik gestellt. Im Mai 1919 richtete man in dieser Außenhandelsstelle als eigenes Referat den sogenannten "EILDIENST" ein. Von hier wurden die gesammelten oder eingegangenen und redigierten Meldungen meist schon am gleichen Tage telegraphisch oder durch Eilbriefe an etwa 4000 Unternehmen verschickt, die von den Handelskammern des Reiches ausdrücklich als vertrauenswürdig bezeichnet worden waren. Mit der Zeit wurde die Übermittlung von Preis- und Kursmeldungen, von eiligen Angeboten und Nachfragen zu einer der wichtigsten Tätigkeiten des "EILDIENST". Da dies jedoch auf Dauer nicht Aufgabe einer Zentralbehörde sein konnte, ging man daran, den "EILDIENST" zu privatisieren. Am 13. Juli 1920 entstand aus dem Eildienst-Referat die "EILDIENST FÜR AMTLICHE UND PRIVATE HANDELSNACHRICHTEN GmbH" (künftig: EILDIENST), deren Stimmanteile sich zunächst in Reichsbesitz befanden. Praktisch von ihrer Gründung an war die EILDIENST im Gegensatz zu den Nachrichtenagenturen bereit, Gebühren an die Reichspost zu zahlen. Der funktelegrafische Dienst erhielt den Namen "FUNKWIRTSCHAFTSDIENST" und wurde über einen zentralen Postsender und in 29 Telegrafenämtern aufgestellte Empfänger (anschließend per Bote oder Telefon) verbreitet. Für die EILDIENST verliefen die Versuche vielversprechend, so daß der FUNKWIRTSCHAFTSDIENST bereits im November erweitert wurde und höhere Gebühren bezahlte. Als die Nachrichtenagenturen im Januar und Februar 1921 auf die Fortsetzung der Funkversuche verzichteten (da sie sonst Gebühren hätten zahlen müssen), war die EILDIENST vorläufig das einzige Unternehmen, mit dem das RPM zusammen weitere Pläne ausarbeiten konnte. In der RFK-Sitzung vom 4. März 1921 wurde eine Ausweitung des Dienstes auf weitere Orte und auch im Umfang angekündigt. In dieser Sitzung wurden auch die Fortschritte des Sprechfunks bei Versuchen in Königs Wusterhausen besprochen, und die EILDIENST beantragte daraufhin einen Sender, um den FUNKWIRTSCHAFTSDIENST unmittelbar an die einzelnen Bezieher liefern zu können. Die EILDIENST strebte allerdings eine vertraglich garantierte Monopolstellung an. Die Vertragsverhandlungen dauerten so ein ganzes Jahr, bis dies auf eine Meistbegünstigungsklausel eingeschränkt war. Auch mußte von der Post erst noch ein Weg gefunden werden, wie die inzwischen entwickelten "mißbrauchgeschützten" Empfangsgeräte verbreitet werden konnten, da diese auf jeden Fall Eigentum des Reiches bleiben sollten. Im Sommer hatte die EILDIENST immerhin 400 Kunden in etwa 100 Orten, trotz der hohen Gebühren. Am 15. August begannen die Versuchssendungen und am 1. September 1922 löste der "WIRTSCHAFTSRUNDSPRUCH" den alten telegraphischen Dienst ab. Er wurde in der Folge sehr positiv aufgenommen. Die Reichspost hatte mit ihm zum ersten Mal ein ertragbringendes Funkmittel kommerziell umgesetzt und, was für die weitere Entwicklung viel wichtiger war, zum ersten Mal die Möglichkeit, das neue Nachrichtenmittel in größerem Umfang zu erproben und die technischen Grundlagen für den späteren allgemeinen Rundfunk zu schaffen. (Q81) Bei der Post bildeten sich langsam Pläne über eine mögliche Organisation und auch erste Vorstellungen über die Inhalte der Sendungen: Musikveranstaltungen und Vorträge. Erstaunlich ist, daß eine Verkehrsverwaltungsbehörde, die die Post nunmal ist, dazu gebracht wurde, sich der Vorbereitung von unterhaltenden Beiträgen in Wort und Musik zuzuwenden. Die Ursachen hierfür sieht Lerg in der Person BREDOWS. (Q82)
Bemerkenswert ist außerdem, daß der Aufbau des Rundfunks bis zum Sommer 1923 weitgehend unbeobachtet und frei von Versuchen der politischen Einflußnahme verlief. Dies läßt sich wohl nur damit erklären, daß kaum jemand die Möglichkeiten des hier entstehenden publizistischen Mittels erkannte. (Q83)
Nachdem am 4. Mai 1922 der englische Postminister im Unterhaus die erste offizielle Erklärung über die britische Rundfunkorganisation abgegeben und die interessierten Funkfirmen eingeladen hatte, sich um eine Lizenz zu bemühen, reichten auch in Deutschland die beiden ältesten Funkfirmen - TELEFUNKEN und LORENZ - am 16. Mai 1922 der RTV einen Konzessionsantrag zur Errichtung und zum Betrieb von Sende- und Empfangsanlagen ein. Knapp eine Woche nach dem Lizenzantrag durch TELEFUNKEN und LORENZ wurde als Tochter der EILDIENST GmbH die erste europäische Rundfunkgesellschaft, die "DEUTSCHE STUNDE, GESELLSCHAFT FÜR DRAHTLOSE BELEHRUNG UND UNTERHALTUNG mbH" in Berlin gegründet. (BREDOW spricht von ihrer Gründung am 1. Mai 1922). Der Treuhänder der Eildienst, Roselius, konnte von VOSS für die Pläne interessiert werden. Er stellte das Gründungskapital zur Verfügung. Auf Grund eines besonderen Vertrages erhielten ROSELIUS und die Post jeweils die Hälfte der Stimmanteile der Gesellschaft. Die ROSELIUS-Anteile sollten zu einem späteren Zeitpunkt dem RPM übertragen werden, damit der entscheidende Reichseinfluß für den Fall gesichert sei, daß sich die DEUTSCHE STUNDE erfolgreich entwickeln sollte. (Q84)
Im RPM wurden die Konzessionsanträge der DEUTSCHEN STUNDE und der Industrie geprüft und weiterentwickelt. Das ging so weit, daß für beide Seiten Verträge vorbereitet wurden, obwohl man eher der DEUTSCHEN STUNDE zugeneigt war. Dies nicht nur, weil diese Gesellschaft dem Reich äußerst nahe stand, sondern auch, weil ihr Konzept des "Saalfunks" eine wesentlich bessere Kontrolle zu ermöglichen schien als das Konzept der Industrie, das auf die Abgabe von Empfängern an Einzelpersonen ausgerichtet war. Im Spätsommer 1922 wurden die Organisationspläne im RPM geändert. "Es waren sowohl technische Notwendigkeiten, als auch eingestandenermaßen die Rücksicht auf den deutschen Regionalismus, die dazu führten, daß die in den einzelnen Reichsteilen vorhandenen oder neu zu errichtenden Sender nicht nur als Verstärker für ein vom Berliner Sender geliefertes Einheitsprogramm dienen, sondern, - in Verbindung mit eigenen Programmgesellschaften, - ein durch die jeweilige Landschaft bestimmtes Regionalprogramm ausstrahlen sollten. Mit dieser Hinwendung zur Dezentralisation hatte die Post ein bis heute bestimmendes Merkmal der deutschen Rundfunkorganisation in die Entwicklung gebracht." (Q85) BAUSCH formulierte, BREDOW habe aus einer technischen Notwendigkeit eine kulturpolitische Tugend gemacht. (Q86) VOSS ging daraufhin daran, zwar ohne offiziellen Auftrag des RPM aber mit der stillen Einwilligung BREDOWS - vielleicht sogar von diesem dazu ermuntert - Filialen der DEUTSCHEN STUNDE zu gründen. Hilfreich waren hierbei die alten Verbindungen zu den Zweigstellen der Außenhandels-Abteilung des AA. Die erste Gründung war die "DEUTSCHE STUNDE FÜR BAYERN, GESELLSCHAFT FÜR DRAHTLOSE BELEHRUNG UND UNTERHALTUNG mbH" mit Sitz in München, die am 18. September 1922 gegründet wurde. (Q87)
BREDOW hatte angekündigt, der neue Funkdienst solle im Winter 1922 eröffnet werden. Daraus wurde jedoch nichts, obwohl man inzwischen zu einem Modell gelangt war, das die beiden unterschiedlichen Konzessionsanträge vereinigen sollte. Die DEUTSCHE STUNDE sollte sich auf die Vorführung an öffentlichen Orten spezialisieren und in Verbindung mit der RUNDFUNK GESELLSCHAFT mbH - einer Verbindung der Firmen TELEFUNKEN, LORENZ und HUTH - das Programm zusammenstellen. Die RUNDFUNK-GESELLSCHAFT sollte die Sendung übernehmen und Empfänger an die Teilnehmer abgeben. (Q88)
Die RUNDFUNK GESELLSCHAFT m.b.H. wollte die acht vorgesehenen Bezirkssender selbst finanzieren, bauen und betreiben. (Q89) Man war übereingekommen, nicht gleiche Dinge nebeneinander zu machen, die DEUTSCHE STUNDE begann sich als das zu entwickeln, was man heute eine reine Programmgesellschaft nennen würde. (Q90)
Zu diesem Zeitpunkt scheint man jedoch im RPM zum ersten Mal zumindest ansatzweise erkannt zu haben, was für ein publizistisches Mittel man hier entwickelte. War man noch bereit gewesen, die Verantwortung für die Technik des neuen Dienstes eventuell selbst zu tragen, wurde man zunehmend unsicher bei der sich nun immer stärker stellenden Frage nach der Verantwortung für das Programm. (Q91)
Das RPM wendete sich deshalb an das RMI. "Die neue Einrichtung ermöglicht und bezweckt eine Verbreitung des Nachrichtenstoffes, wie sie keine gedruckte Zeitung erreichen wird." (Q92) Bedenken bestünden jedoch bei politischen Programmen, die erhebliche Wirkung haben könnten. Das RPM lehnte die Verantwortung für solche Programme ab. Obwohl man den Zusammenhang mit dem publizistischen Mittel Zeitung erkannt hatte, stellte man keine Überlegungen darüber an, ob dem neuen publizistischen Mittel die verfassungsmäßig geschützte Pressefreiheit zustehen würde. Vielmehr wurden bereits in der Anfrage des RPM an das RMI die Möglichkeiten der Zensur erörtert. (Q93)
Auch wurde in dieser Anfrage schon darauf hingewiesen, daß es bei der Kontrolle des Rundfunks zu Kompetenzstreitigkeiten mit den Ländern kommen könnte. Durch die Anfrage hellhörig geworden, überarbeitete das RMI die Konzessionsverträge Anfang 1923 mehrmals. Der Post mußte v.a. das Eigentums- und Betriebsrecht an den regionalen Sendeanlagen bleiben, da man nur auf diese Weise erwartete, die amtliche Kontrolle gewährleisten zu können. Da die Post sich jedoch jeden finanziellen Engagements enthalten sollte, mußte mit den Regionalgesellschaften der DEUTSCHEN STUNDE übereingekommen werden, daß diese mit Baukostenzuschüssen und Darlehen aushelfen sollten. Es wurde ein neuer Vertragsentwurf zwischen der Post und der DEUTSCHEN STUNDE erarbeitet, der präzise Sicherheits- und Aufsichtsbestimmungen enthielt (Vorzensur, die Verpflichtung, nach Maßgabe der RTV Meldungen zu senden und finanzielle Abmachungen, die durchaus das amtliche Interesse wahrten.) Vom RMI wurde dies jedoch als noch nicht ausreichend betrachtet. Es wurde erklärt, daß es nicht genüge, die ganze Sendeseite im Besitz des Reiches zu halten, vielmehr dürfe die Programmseite nicht Sache einer Privatgesellschaft sein, das Reich müsse zumindest die Mehrheit der Geschäftsanteile dieser Gesellschaft haben. Das RMI bot sich dafür gleich selbst an, denn es bestünde ein Interesse, "zum Zwecke der Propaganda für den neutralen Staatsgedanken und zur Wahrnehmung von Reichsinteressen an einer derartigen Gesellschaft beteiligt [zu] sein". (Q94)
Die DEUTSCHE STUNDE begann zunächst als Studiengesellschaft, um das Programmgebiet und die Möglichkeiten des Rundfunks zu erforschen. Dann fing sie an, gelegentlich Darbietungen zu senden, wobei besonders die Sonntagskonzerte viel Beachtung fanden. (Q95)
Interessanterweise scheute BREDOW, der selbst von TELEFUNKEN gekommen war, davor zurück, den Rundfunk in die Abhängigkeit der (Funk)Industrie zu bringen. Er betrieb statt dessen den Plan, die Senderanlagen durch die Post bauen und betreiben zu lassen und unabhängige Geldgeber für die Gründung von dezentralen Rundfunkgesellschaften zu interessieren. In Zeiten der Inflation waren es finanzielle Probleme, die der Einführung eines allgemeinen Rundfunks in erster Linie noch entgegenstanden. (Q96) In Berlin wurde der FOX-Konzern, der u.a. eine Schallplattenfirma besaß, als erster Betreiber gewonnen. Die "BERLINER FUNK-STUNDE" wurde gegründet und sendete am 29. Oktober 1923 zum ersten Mal. Nach und nach wurden auch die anderen acht vorgesehenen Rundfunkgesellschaften im Reich gegründet und nahmen ihren Betrieb auf, zuletzt die WESTDEUTSCHE FUNKSTUNDE AG (WEFAG), die am 15. September 1924 gegründet wurde und am 10. Oktober 1924 von Münster aus ihren Programmbetrieb aufnahm. (A31) Damit stand das erste deutsche Rundfunknetz. (Q97)
Nachdem der Plan, neun Rundfunkgesellschaften ins Leben zu rufen, durchgeführt
war, trat die DEUTSCHE STUNDE von der Bildfläche ab und erhielt Beteiligungen
an den ersten privatwirtschaftlichen regionalen Rundfunkgesellschaften. (Q98)
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