3. Film-Wochenschau


3.1. Die technische und wirtschaftliche Entwicklung der Filmindustrie und der Wochenschauen

Den Bildern "das Laufen beizubringen" war eine frühe Bestrebung nach der Erfindung der Fotografie. Zunächst kam es insbesondere für Bewegungsstudien zur Entwicklung von in Reihe "geschalteten" Kameras (MUYBRIDGE, 1878), bald wurde jedoch eine Kamera entwickelt, die in einer Sekunde 12 Aufnahmen machen konnte (MAREYs Gewehrkamera, 1882). Diese Kamera wurde abgewandelt und weiterentwickelt, so daß bereits 1890 ein Fotoapparat zur Verfügung stand, der in einer Sekunde 60 Aufnahmen machen konnte und so als Vorstufe der modernen Filmkamera angesehen werden kann. (Q28)

Aufgrund der ersten öffentlichen Filmvorführung gilt allerdings das Jahr 1895 als das Geburtsjahr des Films. (Q29)(A13) Die kinematographischen Apparate, die nun vereinzelt auftauchten, waren für das Publikum eine Sensation. Da die Menschen mit diesem Medium noch nicht vertraut waren, ließen sie sich leicht schockieren. (A14) (Wie schon bei der Fotografie angesprochen, mußte sich auch hier die Sehweise der Menschen erst dem neuen Medium anpassen.)

Die deutsche Filmindustrie entwickelte sich im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten oder den USA nur sehr zaghaft. Das gebildete und finanzkräftige Bürgertum zeigte keine Neigung, in die noch unausgereifte Technik Kapital zu investieren. Die kommerziellen Möglichkeiten des Films wurden zunächst verkannt, und so verfügte das kleingewerblich geprägte Filmgewerbe nur über eine geringe Eigenkapitalausstattung. Das Kino fand sein erstes Zuhause auf den Jahrmärkten, im Zirkus und in den Varietés - eben als Sensation. Erst nach der Jahrhundertwende wurde das Geschäft seriöser und zugleich kommerzieller. Die anfängliche Abneigung des Bürgertums wich der Neugier. Erste feste Kinos in den Städten entstanden. Kommerzielle Erfolge ausländischer Filmkonzerne weckten das wirtschaftliche Interesse des Bürgertums. Es wurden Filmpaläste mit komfortabler Ausstattung gebaut, und schließlich wurde der Premierenbesuch zum gesellschaftlichen Ereignis. (Q30)

1906 ging der französische PATHÉ-Konzern dazu über, einzelne aktuelle Aufnahmen zu längeren, mehrere Themen und Ereignisse darstellenden Filmberichten zusammenzustellen, die regelmäßig jede Woche erschienen. (Q31) Zur gleichen Zeit kam es zu einem ersten Konzentrationsprozeß, als einzelne Unternehmer mehrere Kinos betrieben. 1907 schlossen sich mehrere Kinounternehmer zur ALLGEMEINEN KINEMATHOGRAPHEN-GESELLSCHAFT mbH zusammen. Seit 1908 wurden die Wochenschauen des PATHÉ-Konzerns unter dem Titel PATHÉ-Journal nach Deutschland exportiert. (Q32) Es kam zur Strukturwandlung vom örtlich gebundenen Klein- zum überregionalen Großunternehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden fast nur ausländische Filme gezeigt. Mit dem erwachenden Interesse des Bürgertums wurde der Ruf nach verstärkter inländischer Filmherstellung laut. Gleichzeitig fingen die Filmtheaterbesitzer auf lokaler Ebene an, Verleihorganisationen zu schaffen, und die Filmfabrikanten begannen, Vertriebsinstitute aufzubauen. Es setzte eine lebhafte geistige Auseinandersetzung ein (z.B. Kinoreformbewegung), die u.a. zur Einführung der Lustbarkeitssteuer für den Kinobesuch 1913 in Berlin führte. (Q33)

1914 gab es in Deutschland trotz der marktbeherrschenden französischen Produktionen bereits drei Wochenschauen: Der TAG IM FILM, die EIKO-WOCHE, die mit dem SCHERL-VERLAG kooperierte, und die MESSTER-WOCHE. Die in Deutschland bestehenden 3.000 ortsfesten Kinos wurden täglich von etwa 1,392 Millionen Menschen besucht, obwohl sich Organisationen wie die Kirchen noch generell gegen das Medium und gegen Filmbesuche aussprachen. (Q34)

Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde das Kino in Deutschland als lukrativer Wirtschaftszweig entdeckt. Die Filmindustrie profitierte von dem wachsenden Bedürfnis der Bevölkerung nach Ablenkung vom kriegsgeprägten Alltag und der weitgehenden Verdrängung der ausländischen Filme vom deutschen Markt. (A15) Auf dem bis zum Kriegsausbruch von französischen Konzernen beherrschten Sektor der Wochenschauen führte dies zu einem plötzlich einsetzenden "Mangel an Aktualitäten". Der "KINEMATOGRAPH" stellte 1919 rückblickend fest: "Am 1. August plötzlicher Stillstand, als ob alles versinken müßte." (Q35)

Unterschiedlichen Bestrebungen zur Entwicklung eines nationalen Filmschaffens sind zwei Strömungen zuzuordnen, die schließlich zur Gründung der DEUTSCHEN LICHTBILD GESELLSCHAFT e.V. (DLG) einerseits und des UFA-Konzerns andererseits führten. Die DLG wurde am 19. November 1916 gegründet, um nach dem Vorbild ausländischer Konzerne Industrie- und Kulturpropaganda zu betreiben. Mit Unterstützung HUGENBERGS leitete LUDWIG KLITZSCH ab dem 9. Februar 1917 die DLG. Obwohl von Vertretern verschiedener Wirtschaftsbereiche gegründet, wurde die DLG doch von der Schwerindustrie dominiert. (A16) Die nicht in der DLG vertretenen Wirtschaftszweige und die DEUTSCHE BANK konnten ihre filmischen Interessen mit der Obersten Heeresleitung in Einklang bringen und gründeten als Konkurrenz den UFA-Konzern. Mit Unterstützung LUDENDORFFS wurde am 18. Dezember 1917 die UFA aus einer Mischung von öffentlichen Geldern und Privatkapital gegründet. Mit Hinblick auf die sich abzeichnende Kriegsniederlage sahen die UFA-Produktionslisten in erster Linie Unterhaltungsfilme vor. (Q36)

Nachdem es 1916 bereits nur noch zwei Wochenschauen gegeben hatte (Q37), stellte noch vor Kriegsende auch die EIKO-WOCHE ihr Erscheinen ein, so daß es bei Kriegsende nur noch eine deutsche Wochenschau, die MESSTER-WOCHE gab, die am 18. Dezember 1917 als Teil der MESSTER-GRUPPE in der neugegründeten UFA aufging. (Q38) Mit Ende des Krieges wurde von verschiedenen Parteien die Forderung erhoben, den Film vom Profitinteresse des Unternehmers zu trennen und eine Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung herbeizuführen. Diese Forderung kam aber nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, nur von der "Linken", sondern auch von der konservativen "Kino-Reformbewegung", die eine Gefahr darin sah, daß sich das Kino zum Artikulationsmedium der Massen entwickeln könnte und sich der Kontrolle des Staates entziehen würde. Da der Reichstag mehrere Gesetzesentwürfe zur Sozialisierung des Filmwesens ablehnte, wurde die Diskussion über eine Neuordnung des Films nun auf das Zensurproblem reduziert - was letztlich am ehesten den konservativen Vorstellungen entsprach. (Q39)

Die Filmindustrie profitierte vom wirtschaftlichen Desaster der ersten Nachkriegsjahre. Die Inflation versperrte der ausländischen Konkurrenz die deutschen Lichtspielhäuser, wogegen die deutschen Filme konkurrenzlos billig auf dem Weltmarkt angeboten werden konnten. Dies führte zu einem regelrechten Boom in der Filmindustrie. Mit der Kapazitätsausweitung in der Inflationszeit ging auch eine zunehmende Unternehmensverflechtung einher. Durch die Einführung der Rentenmark waren die günstigen Geschäftsbedingungen der deutschen Filmindustrie auf dem Weltmarkt beseitigt, ausländische Filme drängten auf den deutschen Markt und die amerikanischen Filme erreichten bald einen Marktanteil von 40%.

Im Gegensatz zur Spielfilmproduktion war die Wochenschauproduktion während der Inflationszeit äußerst begrenzt. (Q40) Sie blieb im wesentlichen auf die MESSTER-WOCHE beschränkt. Da die UFA zunächst jedoch kein besonderes Interesse an Wochenschauen hatte, wurde sie hier nur bis Ende 1919 produziert. Dann wurde sie von der Konkurrentin DLG übernommen. (A17) Diese produzierte ab Januar 1922 parallel die DEULIG-WOCHE und stellte vier Monate später die MESSTER-WOCHE ein. (A18)

Der Boom im Spielfilmbereich hatte eine weitere Konzentrationsbewegung zur Folge. Die Filmindustrie befand sich von nun an in einer dauernden finanziellen Krise, kleinere Lichtspieltheater und Produktionsstätten mußten schließen oder wurden von Konzernen übernommen. Mit Kooperationsverträgen wurde versucht, das Exportgeschäft anzukurbeln. (A19) Auf dem Wochenschausektor erhoffte man sich einen Bonus für inländische Produktionen, was zu einer Gründungswelle um das Jahr 1925 führte - die allerdings eine solch starke Konkurrenz zur Folge hatte, daß es in der zweiten Hälfte der 20er Jahre zu einer raschen Konzentration kam. (Q41)

1927 stand schließlich auch die UFA kurz vor dem Ruin, was HUGENBERG die Möglichkeit eröffnete, sich nun ein weiteres, gewichtiges Standbein in der Filmindustrie zu sichern. Die UFA-Majorität gelangte an ein Konsortium aus Vertretern der Schwerindustrie, der IG-FARBEN und mehrerer Großbanken - unter Primäreinfluß HUGENBERGS. (Q20) Die ursprünglichen Konkurrenten DLG und UFA waren nun unter dem Dach des HUGENBERG-Konzerns vereinigt. Während der Sanierungsphase der UFA wurde die Spielfilmproduktion stark eingeschränkt, die Produktion von Wochenschauen wurde dagegen ständig ausgeweitet. Der Konzern versuchte auf diesem Gebiet eine Monopolstellung zu erreichen. Die beiden Inlandswochenschauen wurden unter Beibehaltung ihrer alten Titel und mit unterschiedlichen Inhalten von einer Redaktion hergestellt. (Q42)(A21) Die dominierende Position der UFA auf dem Wochenschausektor wurde 1928 weiter ausgebaut. Die TRIANON- und die OPEL-WOCHENSCHAU wurden übernommen. Als Reaktion auf diese Übernahmen nahm am 1. Januar 1929 das DEUTSCHE LICHTSPIEL SYNDIKAT (1926 als Abwehrmaßnahme gegen die Konzerne gegründet) eine eigene Wochenschauproduktion auf, die Anfang 1931 jedoch auch von der UFA übernommen wurde. Einziger "Gegenspieler" der UFA war der EMELKA-KONZERN mit seiner Wochenschau, der gegenüber dem Reich hoch verschuldet war. Wegen der hohen zusätzlichen Belastungen durch die Umstellung auf Tonfilm war der Konzern im September 1929 zahlungsunfähig. Eine Übernahme durch die UFA konnte nur durch eine Intervention der SPD-geführten Reichsregierung verhindert werden. (Q43)(A22)

Die Einführung des Tonfilms, die in Deutschland durch Patentstreitigkeiten verzögert wurde, bildete eine natürliche Handelsbarriere für die amerikanische Konkurrenz, die durch Kontingentbestimmungen zusätzlich gesichert wurde. Dieser Abschottung im Spielfilmbereich stand die Aufnahme einer eigenen Wochenschau durch den amerikanischen FOX-Konzern 1930 gegenüber. Die teure Umstellung der Vorführapparate und die steigenden Kosten bei der Filmproduktion fielen zusammen mit sinkenden Zuschauerzahlen und der Weltwirtschaftskrise. Die ökonomische Abhängigkeit der Filmfirmen von Banken und Industriekonsortien gewann politische Tragweite. Es kam zu weiteren Konzentrationsprozessen. Das nächste Konjunkturtief von 1932 / 33 überlebten von den Produzenten nur noch die UFA, die TOBIS und die TERRA. Der Wochenschausektor der deutschen Filmwirtschaft wurde in den 30er Jahren von 3 Gesellschaften bzw. vier Wochenschauen beherrscht. Neben der FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU waren dies die UFA-Filmberichte DEULIG- und UFA-Tonwoche sowie die EMELKA-Tonwoche, aus der 1934 die EMELKA-BAVARIA- und 1938 die TOBIS-WOCHENSCHAU hervorging. (Q44)



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