ilder und Bildberichte
gibt es nicht erst seit der Fotografie, sie haben vielmehr in allen Kulturen
der bekannten Geschichte eine Rolle gespielt. Was in früheren Jahrhunderten
jedoch Unikate waren (und somit auch nur einmal verloren gehen konnte, um nie
wieder gesehen zu werden) wurde durch die Erfindung des Buchdrucks um die Mitte
des 15. Jahrhunderts plötzlich mechanisch reproduzierbar. Anfangs war die
Zahl der Produktionen noch gering, doch wurde diese durch neue Erfindungen stets
gesteigert. (Q1) Das Flugblatt und die
Flugschrift waren lange Zeit die übliche Erscheinungsform der Bildberichte,
die im 15. und 16. Jahrhundert mittels Holzschnitt und später dann mittels
Kupferstich hergestellt wurden. Große politische Bedeutung erlangten diese
Bildberichte wohl erstmals mit der Reformation, in der viele Auseinandersetzungen
dem Volk mittels illustrierter Flugblätter nahe gebracht wurden. (Q2)
Die ersten periodisch wöchentlich oder täglich erscheinenden Zeitungen
verzichteten zunächst auf Bilder, zu Gunsten der Aktualität. Als erste
illustrierte Zeitung gilt der ab 1642 in London erscheinende MERCURIUS CIVICUS.
Doch waren die Bilder zu Anfang mehr Schmuck als Selbstzweck. (Q3)
Wirkliche Abhilfe versprach hier erst der dank verfeinerter Verfahrenstechnik
wiederentdeckte Holzschnitt / -stich, den CHARLES KNIGHT 1830 in London mit
seinem PENNY MAGAZINE einführte. (Q4)(A3)
Während des Krimkrieges entstand 1855 die Zunft der Kriegskorrespondenten,
gefolgt von festangestellten, zeichnenden Korrespondenten in den europäischen
Hauptstädten. (Q5) Mit dem DAILY
TELEGRAPH entstand, ebenfalls 1855 (14 Tage nach Aufhebung der Zeitungssteuer),
das erste tägliche "Groschenblatt". In Deutschland wurde das
"Groschenblatt" allen voran durch die BERLINER ILLUSTRIRTE ZEITUNG
vertreten, die, 1890 gegründet, ihre Auflage auf eine Million Exemplare
im Jahr 1914 und annähernd zwei Millionen im Jahr 1934 steigern konnte.
(A4) In der Entwicklungszeit der BERLINER
ILLUSTRIRTEN ZEITUNG wurde die Reproduktionstechnik entscheidend verbessert,
so daß die Einbindung der Fotografie möglich wurde. (Q6)
Die erste rein mechanisch reproduzierte Fotografie erschien 1880 in einer Zeitung, (Q6a)(A5) es sollte aber noch eine ganze Weile dauern, bis sich das Foto in der Zeitung durchgesetzt hatte. 1881 gelang es dem Lithographen GEORG MEISENBACH, die Autotypie entscheidend zu verbessern und damit der Fotografie den Weg in die Zeitung zu eröffnen. Wochen- und Monatszeitschriften fingen ab 1885 an, Fotografien abzudrucken. (Q7) Als erste Tageszeitung mit einer Fotobeilage erschien in Deutschland 1901 der Berliner TAG. (Q8) Empfindlichere Platten und der Schlitz- bzw. Zentralverschluß ermöglichten kürzere Belichtungszeiten und machten so die Fotografie von sich bewegenden Objekten möglich. Fotografien verdrängten zu nehmend die Zeichnungen. Große drucktechnische Schwierigkeiten bereitete jedoch noch lange Zeit die Einbindung der Fotos in den Textteil der Zeitungen, so daß diese zumeist mit "Photobildbeilagen" erschienen. (A6) Erst durch die Erfindung des Kupfertiefdruckverfahrens im Jahre 1911 konnten Fotografien in der Tagespresse mit Erfolg reproduziert werden. Seltsamerweise verbreitete sich der Bilddruck in den deutschen Tageszeitungen jedoch nur sehr langsam, so daß D'ESTER 1924 dies als den wesentlichen Unterschied zwischen der deutschen und der ausländischen Tagespresse bezeichnen konnte. (Q9) Neben den Neuerungen in der Drucktechnik hatte die Entwicklung des Nachrichtenwesens entscheidenden Anteil, die Aktualität der Bildnachricht zu erhöhen. Während die Fotos zunächst per Post an die Redaktionen gesandt werden mußten, wurde ab 1907 der bei Wortübertragungen schon seit einiger Zeit übliche Telegraph eingesetzt. Als erste richteten 1907 die französische ILLUSTRATION und die englische Tageszeitung THE DAILY MIRROR einen täglichen bildtelegrafischen Dienst zwischen Paris und London ein. Bald darauf wurden auch Übertragungen nach Berlin und Kopenhagen angeschlossen. Fotoagenturen wurden gegründet, eine der ersten 1898 von dem amerikanischen Journalisten GEORGE GRANTHAM BAIN (MONTAUK PHOTO CONCERN), der gemerkt hatte, daß die Fotos, die er mit seinen Berichten verschickte, mehr Nachfrage fanden als seine Artikel. (Q10) Fotoagenturen und Bildtelegraphie machten dann auch Zeitungen wie das Berliner Boulevardblatt TEMPO möglich, das von 1928-33 in täglich drei Ausgaben "Bilder vom Tage" veröffentlichte. Die Fotoagentur KEYSTONE VIEW gab über den Versand von Bildern der Berliner Maifeiern 1929 folgende Daten:
"Aufnahme des Ereignisses in Berlin: | 10.30 h | ||
Fertige Abzüge: | 10.45 h | ||
Telephonat: | 10.55 h | ||
Eintreffen des telegraphisch übertragenen Bildes | |||
in London: | 11.30 h | ||
in New York: | 17.30 h" | (Q11) |
Sowohl in London als auch in New York erschienen die Bilder noch am selben Abend in der Presse. Mit der steigenden Verwendung von Fotos in den Zeitungen wuchs auch die Nachfrage nach aktuellen Fotos aus der ganzen Welt. Fotoagenturen schossen wie Pilze aus dem Boden. Sie stellten Fotografen an, schlossen aber vor allem Verträge mit freien Fotografen. (A7)
KURT KORFF, Chefredakteur der BERLINER ILLUSTRIRTEN ZEITUNG erfand das "geheime" und das "ultrageheime" Foto (das sorgfältig gestellt wurde, wenn es absolut unmöglich war, "geheime" Fotos zu machen). STEFAN LORANT, von der MÜNCHNER ILLUSTRIERTEN PRESSE, lehnte alle gestellten Fotos grundsätzlich ab. Er gilt als Erfinder der Reportage, die eine Geschichte in einer Bilderfolge erzählt.(Q22) Der wohl bekannteste und erfolgreichste Vertreter der Reportagefotografie, die Ende der 20er Jahre aufkam, wurde HANS BAUMANN, der unter dem Namen FELIX H. MAN arbeitete. Seine 1929 entstandene Reportage über den Kurfürstendamm bei Nacht und seine 1931 entstandene Bildreportage über MUSSOLINI sollen ganze Generationen von Fotografen beeinflußt haben. (Q23)
Gleichzeitig wurde die politische Instrumentalisierung der Fotografie vorangetrieben. Schon während des ersten Weltkrieges mußten alle Fotos zunächst an das halbamtliche PRESSE-PHOTO-SYNDIKAT geliefert werden, ab 1916 sorgte dann das militärische BILD- UND FILMAMT dafür, daß keine mißliebigen Fotos veröffentlicht wurden. (Näheres zu den staatlichen Zensurbehörden im Kapitel "3.2. Die politischen Inhalte der Wochenschauen") Während man während des Krieges versuchte, diese Selektion möglichst nicht publik werden zu lassen, bekannten sich nach dem Krieg Zeitungen wie die kommunistisch orientierte ARBEITER ILLUSTRIERTE ZEITUNG, die zwischen 1927 und 1933 zur auflagenstärksten deutschen Illustrierten avancierte, ganz offen zu ihren politischen Zielen (hier: für Sozialismus, gegen Imperialismus und Kolonialismus). Die ARBEITER ILLUSTRIERTE ZEITUNG führte dazu auch ganz neue Ausdrucksmittel ein, beispielsweise die sehr bekannt gewordenen Fotomontagen von HELMUT HERZFELD, unter dem Pseudonym JOHN HEARTFIELD veröffentlicht, oder auch die "Photogedichte", Einzelfotos, die statt einer Bildunterschrift ein literarisches Gedicht hatten. Diese Gedichte wurden zum Teil von bekannten Journalisten wie KURT TUCHOLSKY geschrieben. (Q24)
Wie auch auf vielen anderen Gebieten, so brachten es die Nationalsozialisten auch auf dem Gebiet der politischen Instrumentalisierung der Bilder zu einer traurigen Perfektion. Ebenso wie die übrige Presse wurde auch die Bildberichterstattung gleichgeschaltet, und so fand die blühende Entwicklung des deutschen Fotojournalismus ein recht jähes Ende. Die alteingesessenen Illustrierten, die nach der Machtergreifung weiterbestanden, wurden nach und nach stillgelegt. An ihre Stelle traten neue, nationalsozialistische Bilderblätter. Fast alle berühmten Bildjournalisten emigrierten nach Frankreich, Großbritannien oder in die USA. Einige starben, wie viele der von ihnen abgebildeten, im KZ. (Q25)
GISÈLE FREUND resümiert: "Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen [...] Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt. Die Gesichter von Personen des öffentlichen Lebens, die Ereignisse, die sich in seinem Land abspielen und auch diejenigen, die außerhalb der Grenzen stattfinden, werden ihm vertraut. [...] Die Photographie leitet das Zeitalter der visuellen Massenmedien ein, als das Einzelportrait durch das kollektive Massenportrait verdrängt wird. Gleichzeitig wird die Photographie zu einem mächtigen Instrument der Propaganda und der Manipulation. Die Bilderwelt wird entsprechend den Interessen jener gestaltet, die die Presse besitzen: die Industrie, das Finanzkapital, die Regierungen." (Q26)
![]() Fotografieren ist so einfach (History of Kodak) |
So wurde die Amateurfotografie neben der Pressefotografie zu einer eigenen Quellengattung, die sich nicht nur zur Illustration von Ereignissen eignet, sondern v.a. für die Erforschung des Alltags und der Lebensumstände der "kleinen Leute", für die Auswirkungen der "hohen Politik" auf das Leben des Volkes. Sie kann anders nicht oder nur schwer zu erschließende Zusammenhänge verdeutlichen.
Auf die Bedeutung des neuen Mediums für die Wissenschaft, die es bald schon verstand, es sich zu Nutze zu machen, möchte ich hier nicht näher eingehen.
[ Weiter im Text ] | [ Zum Inhaltsverzeichnis ] | [ ralf-hecht.de ] | [ Zur Kommentarseite ] |
URL: http://www.ralf-hecht.de/weimar/kap2.html | Download |